Alraune: Zauberwurzel und Narkotikum der Weisen – von Margret Madejsky

Neben dem Schlafmohn zählt die Alraune (Mandragora officinarum) zu den ältesten und berühmtesten Heilpflanzen der Menschheit. Die sagenumwobene Wurzel wurde bereits im Papyrus Ebers, einem der ältesten medizinischen Schriftstücke, unter dem Namen djadja erwähnt. Von den alten Ägyptern über Hippokrates, die Ärzteschule von Salerno und Hildegard von Bingen bis hin zu Paracelsus beschäftigten sich alle bedeutenden Heilkundigen vergangener Zeiten mit diesem Nachtschattengewächs.

Wegen ihrer menschenähnlichen Gestalt sprach man der Wurzel bereits in der Antike außergewöhnliche Zauberkräfte zu und verkaufte die daraus geschnitzten Puppen für teures Geld, denn sie galten als eine Art pflanzlicher Dienstgeist, als Homunculus, der dem Aberglauben zufolge Ratschläge erteilen, das Geld verdoppeln und nicht zuletzt sogar heilen konnte. Paracelsus erzürnte es über die Maßen, dass man die Alraune im Zusammenhang mit dem Homunculus nannte (III/149 und 175). Er fand auch nicht im Mindesten, dass die Wurzel Menschengestalt habe: »Es könnte hier auch ein Einfältiger fragen, warum die Wurzel Alraune eines Menschen Gestalt an Gesicht, Händen und Füßen habe (…). Dem gebe ich hier zur Antwort und sage, es sei nicht wahr, dass die Wurzel Alraune Menschengestalt hat, sondern es ist ein betrügerisches Werk und eine Gaukelei von Landfahrern (…). Denn es gibt gar keine Wurzel, die Menschengestalt hat, sie werde denn so geschnitzt und geformt« (IV/340).

Alraune in Menschengestalt – gegraben in Griechenland 1994

Dagegen war Hildegard von Bingen noch der Ansicht, dass Gottes erster Versuch, den Menschen zu erschaffen, misslungen und daraus die menschenähnliche Alraunenwurzel hervorgegangen sei. In der Tat dürfte es sich bei den meisten der in Museen ausgestellten Alraunpuppen um geschnitzte Wurzeln handeln, aber es gibt auch naturbelassene Exemplare, die so gestaltet sind, dass man in der bizarr geformten, fleischigen Wurzel mit etwas Fantasie einen Rumpf mit Armen und Beinen und in den Blättern einen Haarschopf erkennen kann.

Was diese alte Zauberwurzel jedoch von anderen Pflanzen unterscheidet, sind ihre unbeschreibliche Ausstrahlung und auch ihre Inhaltsstoffe. In der Alraune und im Bilsenkraut kommen als Vorstufen von Tropanalkaloiden nämlich sogenannte Putrescine vor, die zu den Leichengiften zählen. Diese Inhaltsstoffe stellen auch die Verbindung zum Totenreich her, denn Alraune und Bilsenkraut gehören seit jeher zu den Pflanzen der Eingeweihten, zu den Hexenkräutern und Schamanenpflanzen.

Ihre Wurzelbetonung, die düstere Blütenfarbe und der herbe Geruch der Blätter sind Gift-Signaturen die auf Saturn hindeuten

Die erste heilkundliche Verwendung der Alraune dürfte die als Betäubungs- und Schmerzmittel gewesen sein: »Um die Schmerzen chirurgischer Operationen zu mildern, wurde frisch gebrochene Mandragora vor die Nase gehalten, es war also für die alten Ärzte dasselbe, was der Äther bzw. das Chloroform für die heutigen ist«, schrieb etwa Gerhard Madaus (1987). Sich die Pflanze nur vor die Nase zu halten, hätte den Patienten jedoch niemals vollständig betäubt oder im erwünschten Maß die Schmerzen gelindert, auch wenn die Wurzel über ein kraftvolles Wirkstoffgemisch verfügt. Vor operativen Eingriffen – und Paracelsus dürfte als Feldarzt Erfahrungen dieser Art gesammelt haben – gebrauchte man die narkotischen Säfte der Nachtschattengewächse z.B. in Form von Nasenschwämmchen: »In der Chirurgie verwendete man als Anästhetikum vor den Eingriffen einen sogenannten Schlafschwamm, Spongia somnifera. Ein Stückchen Schwamm wurde mit dem Saft von Nachtschattengewächsen, z.B. Tollkirsche, Bilsenkraut oder Alraune, getränkt; dazu kamen noch Extrakte aus Opium und Schierling. Der Schwamm wurde an der Sonne getrocknet und bei Bedarf eingeweicht und in die Nase tamponiert« (W. Daems, 2001). Über die Nasenschleimhäute erfolgte die rasche Resorption der narkotischen Nachtschattenalkaloide, die, wie man von den Hexensalben weiß, über Haut und Schleimhaut in den Blutkreislauf aufgenommen werden. Im Falle der Alraune handelt es sich vor allem um Scopolamin, das »bereits in niedriger Dosierung einen motorisch dämpfenden Einfluss ausübt, in größeren Dosen zu einem Dämmerschlaf führt« (Frohne/Pfänder, 1987).

Nachtschatten-Scopolamine werden wegen ihrer betäubenden und muskelrelaxierenden Wirkung noch heute in der Operationsvorbereitung sowie in der Schmerzbekämpfung verwendet (z.B. enthält das krampflösende Buscopan plus neben Paracetamol auch Butylscopolaminiumbromid). Auch betäubende Tränke, die u.a. Alraunenwurzel enthielten, waren im Mittelalter gebräuchlich.

Paracelsus führte gleich mehrere beruhigende, schlafbringende und schmerzlindernde Rezepte mit Mandragora auf. Zur Beruhigung von Gallenschmerz empfahl er etwa eine Mixtur aus Alraune, Bilsenkrautwurzel, Bilsensamen, Schlafmohn und Theriak (I/818). Einer seiner Schlaftrünke setzte sich u.a. zusammen aus Alraune, Ambra, Kampfer, Mastix, Mohnsamen, Opium und Zimt (II/60).

Außerdem lobte er die betäubenden Kräfte der Alraune bei schweren Krankheiten und großen Schmerzen: ein »Mensch, der infolge großer Krankheit und leiblicher Schmerzen und der Leiden, die er hat, seinen natürlichen Schlaf verliert und gar nicht, weder bei Tag noch bei Nacht schlafen kann. Diesem ist der Schlaf mit etlichen Simplicien und Arzneien zu bringen. So erstens mit der
Alraunwurzel, mit dem Papaver (Mohn) und seiner Wurzel« (IV/363).

Die Früchte der Alraune verströmen einen Duft nach einem vergorenen alkoholischen Getränk

Interessanterweise sind in den vorgenannten Rezepten u.a. Theriak oder Kampfer enthalten, obwohl deren Wirkungen eher als ernüchternd und kreislaufanregend beschrieben werden, weshalb der Theriak einst als universelles Gegengift diente und Kampfer in der Homöopathie bis heute in dem Ruf steht, ein universelles Gegengift zu sein. Nach heutigem Erkenntnisstand wäre es nicht ungefährlich, Nachtschattengewächse zusammen mit Opium anzuwenden, da es hier bei entsprechend hoher Dosierung zur Atemdepression bis hin zum Tod durch Atemstillstand kommen kann. Da stellt sich die Frage, ob Paracelsus die Wirkungen dieser Arzneipflanzen bereits so differenziert betrachtete, denn dass es sich um Giftpflanzen handelte, war ihm bewusst: »Opium, Mandragora, Jusquiamus (Bilsenkraut). Wenn man es zu trinken gibt, ist es ein Gift und der Körper wird kalt« (III/532). Nur wer die Pflanzen wirklich kennt, kann auch deren heilsame und unheilvolle Kräfte beherrschen.

Als Alchimist verfügte Paracelsus nicht zuletzt auch über Kenntnisse der Arzneibereitung, durch welche sich die Giftwirkung zügeln und die Arzneikräfte befreien lassen. So erwähnte er z.B. des Öfteren die »Quintae Essentiae von Opium, von Mandragora, von Jusquiamus, von Papaverus« (II/64, II/74), bei der es sich um eine spezielle Zubereitung handelt, deren Heilkraft und Wirkung am ehesten einem Destillat oder einer spagirischen Urtinktur nahe kommt. Eben weil deren Wirkungen nicht vom Alkaloidgehalt abhängen, sondern mehr vergeistigter Natur sind, sind z.B. die spagirischen Urtinkturen von Belladonna, Hyoscyamus oder Mandragora von der Rezeptpflicht befreit. Jedenfalls warnte Paracelsus vor der Giftwirkung der Narkotika wie Bilsenkraut, Schlafmohn und Alraune: »Da wir Ärzte sehen, dass die Somnifera viel tun und große Dinge bewirken und dass in den Opiata ein Gift ist, so dass sie nicht ohne die Gestalt der Quintae Essentiae zu gebrauchen sind, sollen wir unsere Zuflucht bei diesen Mitteln suchen« (III/644).

Mandragora von Nana Nauwald, 1998

Abgesehen von den alchimistischen Zubereitungen gebrauchte Paracelsus die Mandragora auch in Form einer Salbe (II/68), die der Schmerzlinderung diente. Dies ist auch heute noch möglich, da der anthroposophische Heilmittelhersteller Weleda – vielleicht von Paracelsus inspiriert – die Alraunenwurzel gleich in mehrere Salben eingearbeitet hat (z.B. Arnica/Symphytum comp. Salbe oder Mandragora 5% Salbe – leider zeitweise aus galenischen Gründen nicht lieferbar!), die bei Prellungen, Zerrungen oder Verstauchungen sowie bei Gelenkentzündungen oder Rheuma Schmerzen lindern. Ebenso bewährt sind z.B. bei Hexenschuss oder bei rheumatischen Schmerzen subkutane Injektionen mit Mandragora D4 Ampullen von Weleda oder Metasymphylen N (alraunenhaltige Tropfen von Meta Fackler).

Ausschnitt aus dem Buch Traditionelle Heilpflanzenkunde und Phytotherapie von Olaf Rippe und Margret Madejsky (At Verlag):

Zur Beachtung!

Der Leser ist aufgefordert, Dosierungen und Kontraindikationen aller verwendeten Arzneistoffe, Präparate und medizinischen Behandlungsverfahren anhand etwaiger Beipackzettel und Bedienungsanleitungen eigenverantwortlich zu prüfen, um eventuelle Abweichungen festzustellen.

Die in diesem Artikel aufgeführten Rezepte und Behandlungshinweise verstehen sich ausschließlich als Lehrbeispiele und können daher auch weder den Arztbesuch noch eine individuelle Beratung durch einen Heilpraktiker bzw. Arzt ersetzen. Sie sind nicht als Ratschläge zu einer Selbstbehandlung gedacht, sondern wollen lediglich einen Einblick in Therapiemöglichkeiten geben! Die Einnahme der genannten Heilmittel wie auch die Anwendung der Rezepturen oder das Befolgen der Therapieempfehlungen geschieht stets auf eigene Verantwortung. Sollten Sie nicht die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde haben und über eine entsprechende Erfahrung verfügen, ist es empfehlenswert, sich vor jeder Anwendung kompetenten Rat bei einem Arzt oder einer Ärztin, einem Heilpraktiker oder einer Heilpraktikerin einzuholen. Es ist in jedem Fall ratsam, sich vor der Anwendung eines Heilmittels über mögliche Gegenanzeigen oder Nebenwirkungen zu informieren. Auch sollte die nur modellhaft angegebene Dosierung grundsätzlich überprüft und individuell angepasst werden. Bitte beachten Sie ebenso alle Warnhinweise und Anwendungsbeschränkungen der jeweiligen Beipackzettel.

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